Petra van Holst, Geschäftsführerin von Zorgverzekeraars Nederland (ZN) “Niederländische Versicherer wenden den AIM-Rechner für faire Preise standardmäßig an, wenn sie mit Unternehmen über Arzneimittelpreise verhandeln”

20.02.2024

Hohe Arzneimittelpreise sind heute in der gesamten EU Realität und führen dazu, dass der Zugang zu Arzneimitteln ungleich ist oder in einigen europäischen Ländern sogar überhaupt nicht möglich ist. Dies ist eine große Herausforderung für unsere solidarischen Gesundheitssysteme, die nicht verschwinden wird, solange die derzeitigen Grundsätze für die Festsetzung der Arzneimittelpreise nicht grundlegend geändert werden.

Die Niederlande sind eines der aktivsten europäischen Länder, was die Kontrolle der Arzneimittelpreise angeht. Petra van Holst, Geschäftsführerin unseres niederländischen Mitglieds Zorgverzekeraars Nederland (ZN), hat sich sich die Zeit genommen, unsere Fragen zur Situation in ihrem Land zu beantworten. Dort haben die Krankenversicherer nämlich proaktiv eine Reihe von Initiativen zur besseren Kontrolle der steigenden Arzneimittelpreise umgesetzt.

Frau van Holst, können Sie die Entwicklung der Erschwinglichkeit von Arzneimitteln in den Niederlanden erläutern? Wie wirkt sich dies auf den Zugang der Patienten zu Arzneimitteln aus?

Dieses Dossier ist gekennzeichnet durch hohe Preise, schnell steigende Ausgaben sowie laufende Entwicklungen und Innovationen. In den Niederlanden sind die Ausgaben für Arzneimittel während der letzten Jahre um durchschnittlich 7 % pro Jahr gestiegen. Dieser Anstieg ist höher als das Wachstum anderer Gesundheitsausgaben, so wie zum Beispiel der Krankenhausversorgung. Als Folge kann dieses Geld nicht für Personal oder Innovation verwendet werden. Dies setzt somit die Nachhaltigkeit unseres Gesundheitssystems unter Druck.

Wenn die Krankenkassen unnötig Geld für unwirksame Arzneimittel ausgeben, kann der Zugang der Patienten zu diesen Produkten gefährdet sein. Das ZN möchte auf sozialverträgliche und kosteneffektive Preise hinarbeiten, damit Verzögerungen bei der Zulassung und Erstattung von Arzneimitteln in den Niederlanden vermieden werden können.

Welche Rolle spielt das ZN beim Zugang zu Arzneimitteln?

Das ZN ist der Dachverband der niederländischen Krankenversicherer. Innerhalb unserer Organisation ist es die allgemeine Vision der Krankenversicherer – wann immer möglich – zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass alle Behandlungen mit Krankenhausarzneimitteln innerhalb des versicherten Pakets für alle Patienten (kosten-)wirksam, zugänglich und erschwinglich sind und bleiben. Zu diesem Zweck haben die Krankenversicherer zum Beispiel eine gemeinsame Einkaufsgemeinschaft (das Clean Team) gegründet, die finanzielle Vereinbarungen mit Pharmaunternehmen trifft. Sie befasst sich insbesondere mit Arzneimitteln, für die es nur wenige oder keine konkurrierenden Produkte gibt und bei denen große Probleme hinsichtlich der Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit bestehen. Wir versuchen auch, dies gemeinsam mit anderen Interessensgruppen und Vertretern der Gesundheitsberufe zu erreichen.

Darüber hinaus besteht innerhalt der ZN ein Ausschuss mit der Bezeichnung CieBAG (Ausschuss für die Beurteilung von Zusatzarzneimitteln), der aktiv neue Arzneimittel daraufhin prüft, ob sie den neuesten wissenschaftlichen und praktischen Standards entsprechen.

Frau van Holst, was bedeutet das Konzept der fairen Preisgestaltung für Sie? Haben der Rechner und das Modell für faire Preise bei Ihrer Arbeit zur Preisgestaltung und Erstattung von Arzneimitteln etwas bewirkt?

Es gibt keinen eindeutigen Konsens über das Konzept der fairen Preise für Arzneimittel, da dies aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Der Rechner für faire Preise gibt den Versicherern jedoch Instrumente an die Hand, mit denen sie den Referenzpreis besser einschätzen und verstehen können, wie der Zielpreis für ein Arzneimittel aussehen sollte, da er dazu beiträgt, die Struktur der Preiskomponenten zu klären. Die Anwendung des fairen Preiskalkulators führt dazu, dass die Pharmaunternehmen diese Komponenten transparenter darstellen müssen.

Das Clean Team verwendet den Rechner für faire Preise standardmäßig, wenn es mit Pharmaunternehmen über Arzneimittelpreise verhandelt. Derzeit hat das Clean Team über 40 Vereinbarungen mit Pharmaunternehmen geschlossen.

Können die Länder Ihrer Meinung nach faire Arzneimittelpreise allein erreichen? Wie könnte die Überarbeitung der Arzneimittelgesetzgebung die Bedingungen für gerechtere Arzneimittelpreise und ein besseres Management von Arzneimitteln in Ihrem Land und allgemein schaffen?

Bis zu einem gewissen Grad können die Länder faire Preise auch allein erreichen, aber es ist effektiver, wenn sie bei der Änderung der europäischen Rechtsvorschriften zusammenarbeiten.

Derzeit bietet die neue europäische Patentgesetzgebung weder für die Niederlande noch für andere Länder genügend Erleichterung, wenn es darum geht, faire Preise für die Patienten zu erzielen. Wir sehen sogar die Gefahr, dass die neue Arzneimittelgesetzgebung längere Schutzfristen und damit hohe Preise mit sich bringt, was zu Verzögerungen beim Zugang zu Arzneimitteln führen kann. Wir sind der Meinung, dass die Länder mehr zusammenarbeiten sollten, um die Gesetzgebung zu verbessern und mehr Transparenz über die Preisstruktur gesetzlich zu verankern. Wir sind auch der Meinung, dass eine stärkere Zusammenarbeit erforderlich ist, um beispielsweise sicherzustellen, dass die Kostenwirksamkeit bei der Überprüfung von Zulassungsdossiers durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) eine größere Rolle spielt.